Stiftung Garnisonkirche zelebriert sich erneut in der Opferrolle
Am 06.03.2020 vermelden MAZ, PNN, epd und Stiftung, dass zum 75. Jahrestag des Luftangriffs auf Potsdam im Zweiten Weltkrieg der Sockelbau des neuen Garnisonkirchturms fertiggestellt sein soll. Genau mit solchen Verknüpfungen suhlt sich die Stiftung Garnisonkirche wiederholt in der Opferrolle. Wenn nicht die Versöhnung mit der eigenen Geschichte, und damit die Verdrängung, im Vordergrund stehen würde, sondern eine ernsthaft Friedens- und Versöhnungsarbeit, dann wurden die einzelnen Etappen mit dem 8.Mai in Kontext gesetzt werden. Auch dieser Tag jährt sich 2020 zum 75. Mal und gilt als Wendepunkt in der europäischen Friedengeschichte. Der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus wäre eine klare Antwort auf die Geschichte der Stadt und dieser Kirche. Immerhin warb Potsdam ein Jahrzehnt mit dem Titel „Potsdam – Geburtsstätte des Dritten Reiches“ und illustrierte diese Epoche mit der Garnisonkirche. Die „Nacht von Potsdam“ (13./14.04.1945) ist die Folge des „Tages von Potsdam“ (21.03.1933) und die Antwort der Alliierten auf millionenfachen Mord und eine Vielzahl zerstörter Städte in ganz Europa. Bereits der „Ruf aus Potsdam“ aus dem Jahre 2004 ist eine Selbstinszenierung in der Opferrolle. Bis heute weigert sich die Stiftung Garnisonkirche sich der „Täterrolle“ der Garnisonkirche bzw. ihrer Funktion als rechtsnationalistischer, antisemitischer und antidemokratischer Hort in den Jahren des preußische-deutschen Militarismus und Faschismus (1871-1945) zu stellen. Der 88 Meter hohe Turm, mit seinen militaristischen Insignien sollte nicht das Wahrzeichen einer toleranten, weltoffenen Stadt werden. Wer seine baulichen Etappen, mit den „Opfertagen des deutschen Faschismus “ verknüpft, schürt bewusst die Gemeinsamkeit mit den alten und neuen Rechten!
Schubert zäumt das Pferd von hinten auf
Der Oberbürgermeister manövriert sich in eine politische Sackgasse. Das Dilemma wird mit seinem aktuellen Brief an die Fraktionen deutlich. Der Oberbürgermeister möchte einen Konsens finden in einem Streit, den es aktuell gar nicht gibt. Es gibt keinen Handlungsdruck für die Fläche des Kirchenschiffes. Es gibt weder die finanziellen Mittel seitens der Stiftung, noch gibt es eine Idee zur Nutzung dieses Gebäudes. Die Betriebskosten will ohnehin niemand tragen. Wenn es Handlungsdruck gäbe, könnte dieser mittels Baurecht aus der Welt geschafft werden. Unabhängig davon führt Schubert aber auch den Diskurs zu einer Alternative zum Kirchenschiff vom Ende her. Erst hat er eine Beschlussfassung in die SVV gebracht und zeitgleich bittet er die Fraktionen diese gleich wieder aus der Diskussion zu nehmen. Er möchte neuerdings im Dezember im Hauptausschuss einen Verfahrensvorschlag unterbreiten. Dabei soll der Rahmen für eine öffentliche Sondersitzung des Hauptausschusses im Januar 2020 gesteckt werden. Bei der „Anhörung“ sollen die verschiedenen Akteure der Stadtgesellschaft zu einem breiten Meinungsbild beitragen. Wieso macht der Oberbürgermeister nicht zuerst diese Anhörung und bringt dann das Ergebnis dieser Meinungsbildung als Beschlussvorlage in die SVV? Das würde Ergebnisoffenheit bedeuten und nicht schon wieder nach Scheinbeteiligung aussehen. Und solange Schuberts Begegnungsstätte Gegenstand der Beschlussvorlage bleibt, kann nicht wirklich über Alternativen diskutiert werden. Außerdem würde jede deutliche Änderung oder Ablehnung der Vorlage ein Gesichtsverlust für den OB bedeuten. Schon deshalb wird er die Rathauskooperation auf seinen Vorschlag einschwören und die Anhörung zum Placebo werden lassen. Schubert löst keinen Konflikt, er wird zu einem.
Keine militärische Stadtkrone für Potsdam!
Am 23.10. gab es ein Gespräch zwischen Oberbürgermeister Mike Schubert und dem Vorstand des Antimilitaristischen Fördervereins in Potsdam. Der Verein gehört seit vielen Jahren zu den Kritikern des Wiederaufbauprojektes Garnisonkirche. Beide Gesprächsparteien stimmen in der Bewertung überein, dass die Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich nach rechts gerückt ist und Potsdam seine militärische und preußische Geschichte dringend aufarbeiten muss. Es gibt allerdings deutliche Differenzen darüber, wie dies geschehen kann und wie ein offener Diskussionsprozess in der Stadt dazu gestaltet werden sollte. Der Verein hatte eine „Wiese der Völker“ anstelle des Kirchenschiffes vorgeschlagen und möchte diese Wiese mit regionaltypischen Gehölzen der Opfervölker deutscher Kriege bepflanzen. Der Verein beharrt nicht auf seinem Vorschlag. Wir sehen ihn als Diskussionsbeitrag und mit einer B-Plan-Änderung kann er leicht umgesetzt werden. Ein Beitrag zum Klimaschutz ist es auch. „Schuberts Vorschlag will öffnen, schlägt aber gleichzeitig zu viele Türen für eine offene Diskussion zu“, sind sich die Vereinsvertreter einig. Der Bau eines Kirchenschiffes steht finanziell und baurechtlich in den nächsten Jahrzehnten überhaupt nicht zur Debatte. Deshalb muss aktuell auch nicht über alternative Nutzungen und mögliche Kubaturen eines neuen Gebäudes und eine Jugendbegegnungsstätte nachgedacht werden. „Wir sehen, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister die Notwendigkeit, dass wir viel mehr über Inhalte und nicht nur Formen und Absichten reden müssen. Das gilt aber vor allem für das Versöhnungskonzept der Stiftung.“ erläutert Dr. Kwapis, der Vereinsvorsitzende. „Für uns sind die Forderungen der BI Potsdam ohne Garnisonkirche oder der Martin-Niemöller- Stiftung nach einem Moratorium und einem Trägerwechsel für die Gedenkarbeit im Turm, auf Grund der bisherigen Arbeit nachvollziehbar“. „Wir sind uns mit dem Oberbürgermeister einig, dass ein Bruch in der Form bei der Garnisonkirche notwendig ist. Dieser notwendige Bruch muss aber am Turm erfolgen! Das ist das Symbol, um welches die Stadtgesellschaft nun schon fast 30 Jahre streitet. Hier muss ein Kompromiss sichtbar werden!“ sagt Vorstandsmitglied Carsten Linke. „Dafür sind eine stadtgesellschaftliche Debatte und das Einlenken der Stiftung Garnisonkirche notwendig. „Aus Sicht des antimilitaristischen Fördervereins, darf die „goldene Wetterfahne“, die den Machtanspruch Preußen symbolisiert, und eine Kriegserklärung gegenüber Europa darstellt, nicht die neue „Stadtkrone“ eines toleranten, weltoffenen Potsdams werden. Die Wetterfahne steht für preußischen Militarismus und deutschen Nationalismus. „Vom Oberbürgermeister haben wir erwartet, dass er seinen Entwurf für eine Beschlussvorlage überarbeitet“, erläutert Dr. Jörg Kwapis. „Vorschläge haben wir gemacht“. Die aktuelle Mitteilung, dass der OB die Beschlussvorlage unverändert einbringen will ist ein Beleg dafür, dass Mike Schubert auf seinen Vorstellungen beharrt und in den letzten Tagen den Kritikern nicht ernsthaft zugehört hat. „Er kann nicht nur um Vertrauen werben, er muss auch zeigen, dass er einen Vorschuss verdient. Leider hat er ihn verspielt“ ergänzt Carsten Linke.
Garnisonkirche: statische Last und geschichtlicher Ballast
Seit Wochen ruhen die Arbeiten zur Gründung der Kirchturmkopie an der Breiten Straße. Der Versuch, für die Gründung 38 Bohrungen 38 Meter tief ins Erdreich zu treiben und mit Beton zu füllen, hat nicht funktioniert. Nun sollen andere Bohrverfahren zum Einsatz kommen. Der Rückschlag für das umstrittene Bauvorhaben sollte genutzt werden, die Konzeption komplett zu überdenken. Zahlreiche Kritiker haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die geplante Bausumme von 39 Mio. € nichtausreichen wird. Allgemeine Baukostensteigerungen und Unwegbarkeiten wie die der Pfahlgründung werden die Kosten auf mindestens 50 Mio. € steigen lassen. Die Fertigstellung des Turmes war für 2020 geplant und erscheint immer unrealistischer. Die Baupause sollte genutzt werden, um über ein Gebäude nachzudenken, was nicht nur weniger statischer Gründung bedarf, sondern auch inhaltlich weniger geschichtlichen Ballast mit sich bringt. Ein Gebäude für ein ernsthaftes Versöhnungs- und Friedenszentrum muss von der Funktion her gedacht und konzipiert werden und nicht von der historischen Hülle. Die Stiftung Garnisonkirche täte gut daran, durch neue Ansätze dem Ort konzeptionell, geschichtlich wie baulich, gerecht zu werden. Die Errichtung der barocken Turmkopie, welche auch den Abriss des Rechenzentrums erzwingt, revidiert nicht nur die städtebauliche Geschichte der Stadt, sondern und die des 2. Weltkrieges (Tag von Potsdam bis Nacht von Potsdam). Am Standort sollte ein Museum zur militaristisch-preußischen Geschichte und zu den spezifischen Aspekten, Schuldfragen sowie Ereignissen in der Stadt Potsdam während der NS-Zeit entstehen. Vorbild kann das Münchner NS-Dokumentationszentrum sein, welches nach Abriss der zerstörten NSDAP-Zentrale im Zentrum der Stadt errichtet wurde Die Stadt Potsdam selbst warb u.a. zu den Olympischen Spielen mit dem Slogan „Potsdam – Die Geburtsstätte des Dritten Reiches“, während München sich als „Hauptstadt der Bewegung“ feierte. Die Stadt München wurde sich nach langer Diskussion ihrer Verantwortung bewusst. Die Stadt Potsdam könnte sich mit dem Einsatz für ein Museum zur Potsdamer NS-Geschichte ihrer Verantwortung stellen.
Gemeinsame Pressemitteilung mit der
Martin-Niemöller-Stiftung
Die Entscheidung, ob die Bundesregierung den Nachbau eines Turmstumpfes der ehemaligen Garnisonkirche in Potsdam mit 12 Millionen Euro unterstützt, ist noch nicht getroffen. Die neue Bundesregierung muss diese Entscheidung treffen und treffen können. Diese umstrittene und noch nicht wirklich diskutierte Entscheidung im politischen Vakuum zwischen zwei Legislaturperioden, also ohne das Parlament zu treffen, wäre schlechter politischer Stil. Der neu gewählte Bundestag soll erörtern können, wie an dieser Stelle deutsche Geschichte dargestellt wird: inhaltlich, pädagogisch, baulich. Nur so kann die Verantwortung für 12 Millionen Euro Steuergeld wirklich wahrgenommen werden. Die vorgelegte Konzeption der Stiftung Garnisonkirche, ihre bisherigen Aussagen zur Geschichte des Ortes und die baulichen Pläne einer eins-zu-eins-Replik erscheinen nicht sinnvoll öffentlich förderfähig. Dazu hat die Martin-Niemöller-Stiftung zwei Gutachten vorgelegt. Eine Neubewertung des Bauvorhabens erscheint dringend notwendig. In diesem Sinne haben sich gestern Potsdamer Initiativen, Persönlichkeiten und die Martin- Niemöller-Stiftung mit einem Brief an Frau Prof. Dr. Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien gewandt und sie gebeten, ihre Entscheidung auszusetzen. In dem Schreiben heißt es: „Wir, die Unterzeichnenden, bezweifeln, dass der aktuelle Vorhabenzuschnitt diesem belasteten Ort der deutschen Geschichte gerecht wird. Ja, wir befürchten ein blamables Scheitern der Geschichtsaufarbeitung an diesem Ort.“ Im zweiten Teil des Briefes werden rechtliche Bedenken vorgetragen. Es heißt dort: „Es bestehen erhebliche Zweifel an der haushaltsrechtlichen Genehmigungsfähigkeit des Antrags, da weder die Finanzierung noch der Unterhalt des Gebäudes und des künftigen laufenden Betriebs als Gedenkort gesichert sind und neuerdings wohl auf den Bau der Kirche verzichtet werden soll, was ein weiteres und erhebliches Abweichen vom ursprünglichen Förderantrag bedeutet.“